Jenny schenkte Kelia ein schwaches Lächeln, bevor sie ihr Spiegelbild betrachtete. Wenn sie es nicht besser wüsste, könnte sie schwören, dass ihr nicht ihr eigenes Abbild, sondern eine Fremde entgegenblickte. Aus einem Impuls heraus streckte Jenny die Hand aus und berührte das glatte, kühle Glas, nur um sicherzugehen.
Das bin ja wirklich ich, dachte sie erstaunt.
Ihr Spiegelbild sog scharf die Luft ein. Während der letzten Stunde hatte ein Teil von Jennys Gehirn Kelia schweigend zugehört, interessante Informationen herausgefiltert, sie sortiert und dann für die Zukunft gespeichert. Der andere Teil ihres Gehirns hatte währenddessen einen Nervenzusammenbruch erlitten. Jetzt hatte sich der Nebel verzogen und alles wurde kristallklar – sie würde gleich einen Mann heiraten, den sie erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte – einen Mann aus einer anderen Welt – einen Mann, der unter dem Meer lebte.
„Was mache ich hier überhaupt?“, flüsterte Jenny und zog ihre Hand vom Spiegel zurück.
Im Spiegelbild sah sie, wie Kelias Gesichtszüge sich entspannten und sie sie verständnisvoll anblickte. Jenny spürte, wie sich der Stuhl, auf dem sie saß, drehte, bis sie der älteren Frau gegenübersaß. Kelia kniete sich vor Jenny hin und fasste sie sanft an den Händen.
„Du rettest ein Königreich vor der sicheren Zerstörung. Du rettest das Leben eines kleinen Jungen, der alles tun würde, um eine Mutter für sich und seinen Bruder zu finden und das einer Frau, die seinen Vater glücklich machen könnte. Du gibst einem wunderbaren Mann die Chance, sein Volk und seine Familie zu retten“, sagte Kelia.
Verwirrung verdunkelte Jennys Augen. „Aber … Was ist mit meinem Leben? Meinem Zuhause? Ich …“ Jenny verstummte.
„Du wärst nicht hier, wenn die Göttin nicht gewusst hätte, dass du dazu bestimmt bist, hier zu sein“, antwortete Kelia mit zuversichtlicher Stimme.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Jenny.
„Hast du jemanden, den du liebst, in deiner Welt zurückgelassen?“, fragte Kelia.
„Nein“, erwiderte Jenny.
„Gibt es etwas in deiner Welt, das du mehr vermissen wirst als das Leben selbst?“, fragte Kelia.
Jenny konnte spüren, wie sie den Kopf schüttelte, noch bevor Kelia ihre Frage beendet hatte. Die einzigen Dinge, die Jenny zurückgelassen hatte, waren materielle Gegenstände. Es gab keine Familie, die sie vermissen würde. Sie hatte eine Handvoll Freunde, die sich fragen würden, was mit ihr geschehen war, denen sie aber nicht wichtig genug war, dass sie nach Antworten suchen würden, wie sie es bei Carly getan hatte. Und auch ihre Ex-Freunde hatten sich nicht die Mühe gemacht, mit ihr in Kontakt zu bleiben.
„Nein“, flüsterte sie und senkte den Kopf.
„Du hast bereits die Herzen von zwei kleinen Jungen erobert. Ich persönlich glaube nicht, dass es so schwierig sein wird, auch das Herz ihres Vaters zu erobern, wenn du ihm eine Chance gibst. Das ist alles, worum ich dich bitte, Lady Jenny, eine Chance, sie kennenzulernen – eine Chance für dich, diese Welt zu akzeptieren“, antwortete Kelia, während sie aufstand und Jenny aus ihrem Stuhl zog.
Ein reumütiges Lächeln umspielte Jennys Lippen. „Wie bist du so gut darin geworden?“, fragte sie.
Kelias Augen funkelten vor Vergnügen. „Ich habe selbst Kinder und kenne Seine Majestät und den jungen Prinzen lange genug, um zu wissen, wie man Menschen liest“, kicherte sie.
„Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tun werde“, gab Jenny zu und befühlte erneut den feinen Stoff ihres Kleides.
„Ich glaube, dass König Orion sich fragen wird, wie er während der Zeremonie die Finger von dir lassen soll, wenn er erst einmal sieht, wie schön du bist“, neckte Kelia.